Der Feind in meinem Kopf: Selbstzweifel

Jeder Mensch – ja, auch Sie – hat Schwächen, die immer wieder schmerzen. Diese wunden Punkte sind mit Erfahrungen verbunden, die so unangenehm für uns gewesen sind, dass wir sie verdrängt haben.

In den nächsten Beiträgen will ich diese Schwächen etwas genauer beleuchten, weil sie mir in meinen Coachings immer wieder begegnen. In den allermeisten Fällen handelt es sich um eines der folgenden Themen, die im Alltag zu Problemen führen. Ich nennen sie die „5 Feinde in meinem Kopf“.


5 Feinde in meinem kopf

  1. Die Sucht nach Zustimmung
  2. Mangelndes Selbstvertrauen
  3. Impulsivität und Über-Emotionalität
  4. Kontrollzwang
  5. Übersteigertes Selbstbewusstsein und Scheinsicherheit

Sucht nach Zustimmung: Der Fall „Claudia“

Da saß mir eine erfolgreiche Managerin gegenüber, die immer ihr Bestes gegeben hatte. Spitzen-Abitur, Prädikatsexamen, Auslandsaufenthalte, Mehrsprachigkeit, gebildet, intelligent und schlagfertig, attraktiv und mit eigenem Stil: Eine Person, die die Aufmerksamkeit auf sich zieht, wenn sie einen Raum betritt.

Vor mir saß aber auch eine getriebene Person, die unter Schlaflosigkeit litt, große Bindungs- und Beziehungsprobleme hatte, zutiefst erschöpft war, sich überfordert fühlte und hinter jeder Ecke einen Feind vermutete. Das konnte – wie sie mir erzählte – schon mal zu emotionalen Auseinandersetzungen im Team und zu Wutausbrüchen führen.

Auch deshalb hatten in den vergangenen Monaten einige wichtige Player ihr Team verlassen. Das ehemalige Spitzen-Team war Vergangenheit, der Druck von außen wurde immer größer.

Auffällig war, dass meine Klientin in der Schilderung ihrer Situation das Private sehr stark von der „geschäftlichen Person“ abgrenzte. Ihr persönliches Gefühl der Erschöpfung und die schwierige Situation im Team spielten sich für sie auf zwei vollkommen unabhängigen Ebenen ab.

Sie wisse ja, dass sie sich für Privates aufgrund ihres großen Engagements zu wenig Zeit genommen habe. In der Vergangenheit habe sie Beziehungen mit Partnern gehabt, die selbst äusserst erfolgreich gewesen waren. Da leide das Privatleben unter überfüllten Kalendern und manchmal auch unter gegenseitigem Wettbewerb. Ein wenig Ruhe werde sicher helfen, auch ihre Müdigkeit in den Griff zu bekommen.

Im Team ginge es ihrer Ansicht nach um etwas anderes: Die Leistung des Teams sei durch die Karriere-Entscheidung einiger guter Mitarbeiter nach unten gegangen. Sie müsse daher nun – zusätzlich zu ihren eigenen Themen – viel mehr selber machen. Sie tue zwar alles, um ihre Mitarbeiter zu entlasten, die Motivation sei aber trotzdem in den vergangenen Wochen massiv eingebrochen. Regelmässig liesse sie Stimmungsbilder machen und würde immer das Team einbinden, bevor sie wichtige Entscheidungen treffe. Mittlerweile sei sie aber ratlos, was sie noch tun könne.

Die Gesamtschau führt zur Lösung

Jeder Mensch hat ein Repertoire an Dingen, die eher leichtfallen und anderen, die eher schwerfallen. Unsere individuellen Stärken, Neigungen und Schwächen beeinflussen unser Verhalten in jeder Situation. Wir vermeiden oder schieben vor uns her, was uns eher schwerfällt und erledigen sofort, was uns leicht fällt.

Unsere Arbeitskultur hat uns beigebracht, unser Leben zweigeteilt zu führen: Da gibt es das Private mit Freunden, Familie und Hobby und draussen vor der Tür findet das Berufliche statt. Wie oft habe ich schon den Satz gehört: „Privat bin ich aber ganz anders!“

Auch wenn die letzten Monate dafür gesorgt haben, dass sich die Grenze zwischen Beruf und Privat etwas verwischt hat: in unseren Köpfen ist sie noch da. In vielen Fällen ist es aber erforderlich, wieder ein ganzheitliches Verständnis für sich selbst zu entwickeln, wenn wir unseren Problemen auf die Spur kommen wollen.

Noch vor 150 Jahren gab es die Trennung zwischen Beruf und Privatleben nicht. Der überwiegende Teil der Bevölkerung lebte dort, wo die Arbeit war und arbeitete dort, wo man lebte. Erst die industrielle Revolution sorgte dafür, dass es so etwas gab wie feste Arbeitszeiten und Arbeitsorte, zu denen man morgens aufbrach und von denen man abends heimkehrte. Auf dem Bauernhof im Sauerland oder in der Wassermühle im Wald war das nicht erforderlich. Der Tag begann mit dem Sonnenaufgang und endete mit Einbruch der Dunkelheit. Gearbeitet wurde im eigenen Tempo, so wie die eigenen Kraft es zuliess. Mittagspause von 12:00 – 12:30 Uhr? Unbekannt. Gegessen wurde, wenn der Hunger kam und die Kraft nachliess.

Auch wir müssen ein Verständnis dafür entwickeln, dass wir EIN Leben führen und nicht zwei, die quasi parallel nebeneinander verlaufen. Das Private prägt uns in der Arbeit und umgekehrt.

Bei meiner Klientin „Claudia“ stellte sich heraus, dass es ihre Prägung in der Erziehung war, die ihr zur Falle wurde. Sie fühlte sich häufig unverstanden und hatte das Gefühl, dass niemand ihre wahren Qualitäten erkennen würde. Ihren Beziehungen endeten meistens, weil ihr Partner sie verlassen hatte, sei es aus beruflichen Gründen oder für eine andere Person. Woran sie verzweifelte war das Gefühl, was sie auch tue, es sei immer zu wenig. Es gab immer eine Stimme, die flüsterte: „Das reicht nicht. Du enttäuscht mich.“

Die Sucht nach Zustimmung

„Claudia“ war in einem Umfeld aufgewachsen, in dem sie von Aussagen begleitet worden war wie: „Was sollen die Leute von Dir denken?“, „Da hätte ich von Dir nicht gedacht.“ oder „Damit kannst Du die Mama nicht auch noch belasten.“

Menschen mit diesen Erfahrungen haben in ihrer Jugend gelernt, dass sie nur dann ein nützliches Mitglied der Gesellschaft sind, wenn sie von anderen gemocht werden und wenn sie versuchen, es allen recht zu machen. Beliebtheit und Anpassung sind die Dinge die zählen.

Die eigenen Bedürfnisse, Wünsche und Sorgen sind dadurch selbstverständlich weniger wichtig als die Stimmungen der Menschen im direkten Umfeld. „Um des lieben Friedens willen“ werden Ideen und Vorstellungen nicht weiter verfolgt, wenn sie zu Konflikten führen könnten. Diese Menschen sind immer freundlich und hilfsbereit. Sie beklagen sich nie und nehmen es auch nicht krumm, wenn sie nachts um 3:00 Uhr angerufen werden, um sich den Liebeskummer der Freundin anzuhören oder den Kumpel aus der Kneipe abzuholen. Auf sie ist Verlass. Immer.

Ihr tiefes Bedürfnis nach Zuneigung lässt sie alles dafür tun, ein Bild des Erfolgs und der Unabhängigkeit zu präsentieren. Um sie muß man sich keine Sorgen machen. Die Frisur sitzt perfekt, die Kleidung ist geschmackvoll und zurückhaltend, die Fassade ist perfekt. Alles supie!

Im Alltag versuchte meine Klientin daher immer, genau abzuschätzen, welche Folgen ihre Entscheidung haben werde. Wer konnte davon negativ betroffen sein? Wo wären Konflikte denkbar? Würde sie die Erwartungen erfüllen? Und was wäre wenn……

Wir alle wissen: Es ist nicht möglich, alle Folgen einer einzigen Handlung im Voraus abzusehen. Trotzdem investierte sie Stunden um Stunden in die Entscheidungsfindung. Sie sprach mit diesem und jenem, fragte nach Meinungen und Eindrücken, diskutierte Alternativen im Team und verzögerte die Entscheidung so lange, bis sie das Gefühl hatte: diese Lösung ist perfekt und alle sind einverstanden.

Trotz dieser Vorgehensweise entwickelte sie aber für sich kein Gefühl der inneren Sicherheit, denn etwas Wichtiges fehlte: Sie hatte keine eigene Überzeugung, die ihr sagte, was „richtig“ sei.

Nur wenn wir in der Lage sind, für uns selbst ein unabhängiges Urteil zu fällen, können wir eine Entscheidung treffen und sie dann auch durchsetzen. Auch wenn es schwerfällt: irgendwann müssen wir einem Standpunkt den Vorzug geben und das Risiko eingehen, eventuell einen Fehler zu machen.

Für ihr Team war die Zusammenarbeit daher zunehmend schwierig. Wenn Entscheidungen getroffen wurden, war keine einheitliche Linie zu erkennen. Je nach Stimmung wiesen sie in die eine oder andere Richtung. Eine Orientierung für das Team fehlte, die endlosen Diskussionen im Team und das nachträgliche Anzweifeln bereits getroffener Entscheidungen wirkten lähmend. Nichts ging voran.

Deshalb gingen die stärkeren Charaktere im Team dazu über, „Claudia“ unter Druck zu setzen und Entscheidungen zu erzwingen. Wenn dies nicht gelang schafften sie selber Tatsachen. Das sorgte im Team für zusätzliche Konflikte. Der Vorwurf der Entscheidungsschwäche, der im Raum stand, verunsicherte meine Klientin noch stärker. Sie reagierte darauf, wie bei einem Liebesentzug, mit sehr emotionalen Ausbrüchen.

Meine Handlungsempfehlung

Zunächst war es ein Aha-Erlebnis für meine Klientin, die private und berufliche Situation im Zusammenhang zu sehen. Wir konzentrierten uns zunächst darauf, die Symptome genau zu betrachten: die persönlichen Beziehungsprobleme, die negative Stimmung im Team, die emotionalen Streitereien, das permanente Gefühl der Überforderung, die Müdigkeit, der überfüllte Kalender etc.

Dabei waren wir sehr darum bemüht, nicht zu (be)werten, sondern die Puzzle-Stücke nebeneinander zu legen und nach Gemeinsamkeiten zu suchen. Durch die Einbeziehung ihrer persönlichen Geschichte wurden dann Schritt für Schritt Zusammenhänge erkennbar. Der größte Antreiber, auch die größte Angst, war es, nicht zu genügen. Die größte Überzeugung war daher: Ich bin nur wert, geliebt zu werden, wenn ich es allen recht mache. Die größte Hürde: Nur wenn ich keine Fehler mache und niemandem vor den Kopf stoße bin ich erfolgreich. Meine eigenen Bedürfnisse spielen keine Rolle.

Diese Denkmuster sorgten dafür, dass meine Klientin sich in einer permanenten Überforderungssituation befand. Ihre gesamte Energie verwendete sie darauf, ein perfektes Bild abzugeben und das zu sein, was die Welt in ihr sehen sollte: die perfekte Managerin, jung, ehrgeizig, charmant und erfolgreich.

Aber mit der Überforderung kamen auch die Selbstzweifel. Je mehr sie spürte, wieviel Kraft es sie kostete dieses Bild aufrecht zu erhalten, umso größer wurden die Ängste: Würde sie genügen können? Oder hatte sie bisher nur Glück gehabt?

Unsere weitere Vorgehensweise war daher:

  • Wir entwickelten eine Liste ihrer bisherigen Erfolge, wobei wir den Begriff „Erfolg“ nicht auf Berufliches beschränkten. Alles, was für „Claudia“ ein Erfolg gewesen war kam auf die Liste, angefangen beim Schulabschluss über den Führerschein, das erste eigene Apartment, der erste Job usw. usw. Es wurde eine sehr lange Liste.
  • Im nächsten Schritt entwickelten wir gemeinsam die jeweils besten und schlimmsten Szenarien, die sie sich vorstellen konnte. Im Kern standen die Fragen: „Wird es mich umbringen, wenn das und das passiert?“ und „Werde ich erst glücklich sein können, wenn das und das eintritt?“
  • Drittens analysierten wir gemeinsam, welche Werte für sie die größte Bedeutung hatten. Was war ihr wirklich wichtig? Welche fünf Werte sollten zukünftig als eiserne Grundlage dienen, wenn sie Entscheidungen treffen musste?
  • Ich empfahl ihr, immer dann wenn sie spürte, dass sich die Selbstzweifel meldeten und sie das Gefühl bekam, nicht gemocht zu werden, die Liste ihrer bisherigen Erfolge durchzugehen, zu aktualisieren und zu ergänzen.
  • Als Teil ihres Morgenrituals entwickelten wir ein Mantra, das ihr helfen sollte, ihre persönlichen 5 eisernen Werte zu verinnerlichen und ihre innere Stimme zu stärken.

Am Spiegel im Flur befestigte meine Klientin einen Zettel, auf dem Folgendes stand:

Dass Du heute hier stehst ist kein Zufall! Du stehst hier, weil Du es Dir verdient hast.

„Jetzt sei doch nicht so kleinkariert!“

Über Grenzen der Toleranz und Verständnis füreinander

In meinen Gesprächen mit noch unerfahrenen Führungskräften gibt es ein „Evergreen-Thema“, über das wir uns früher oder später unterhalten. Meist gibt es einen konkreten Anlass: sie sind mit einzelnen Mitarbeitern oder mit einem Team in eine Streitgespräch geraten und haben aus ihrer eigenen Sicht falsch gehandelt haben: Entweder beklagen sie, dass sie sich nicht durchgesetzt haben oder, dass sie überreagiert haben.

Inhaltlich sind es häufig kleine, unbedeutende Anlässe, hinter denen aber größere Themen wie das eigene Selbstverständnis als Führungskraft oder grundsätzliche Regeln der Zusammenarbeit stehen. Und immer wenn es diese Ver-(Mischung) gibt, wird die Sache kompliziert.

Ein typisches Beispiel

Herr X ist als Spezialist für eine bestimmte Software-Anwendung der gesetzte Ansprechpartner für alle Fragen der Planung und Anwendungsentwicklung in diesem Bereich. Schon seit einigen Monaten mehren sich aber die Stimmen im Team, die sich über seine ständige Unpünktlichkeit beschweren. Egal, ob er vom Home Office aus an den Sprint-Meetings teilnimmt oder im Büro anwesend ist: Das gesamte Team wartet jedesmal mindestens 15 Minuten auf ihn, muss die Agenda umplanen und andere Themen vorziehen. Einige Kollegen, die nur an seinem Projekt beteiligt sind, verlieren wertvolle Zeit und es ist jedesmal das Gleiche: Er ist unvorbereitet, steht nicht im Thema und vertröstet bei vielen Fragen auf eine Mail im Anschluß an das Meeting.

Für seine junge Teamleiterin Frau Z ist der Umgang mit dieser Situation schwierig: Sie weiß, dass Herr X alleinerziehender Vater von zwei jüngeren Kindern ist und ausserhalb wohnt. Als Fachkraft ist er nicht ohne weiteres ersetzbar.

Zu dem Online-Meeting, das sie angesetzt hat, um über die Situation zu sprechen, verspätet sich Herr X um 10 Minuten. Es sei etwas gewesen mit den Kindern lautet seine halbherzige Erklärung. Eine Entschuldigung kommt nicht und das Gespräch nimmt einen konfrontativen Verlauf, in dem Herr X seiner Teamaleiterin unter anderem vorwirft, sie sei nur an ihrer Karriere interessiert und „total intolerant“. Sie müsse doch wohl Verständnis für seine Situation aufbringen, auch wenn sie selbst keine Kinder habe.

Für Frau Z ist das ein Problem: Einerseits hält sie sich selbst für einen sehr toleranten Menschen, der viel Verständnis für die Einstellungen und Probleme Anderer aufbringt. Andererseits treibt sie die Sorge um, nicht konsequent zu handeln und manipuliert zu werden, wenn sie zu tolerant ist. Wo liegt der gesunde Mittelweg zwischen Toleranz und Konsequenz?

Klare Begriffe und ein Lernprozess!

Besonders für unerfahrene Führungskräfte besteht die Gefahr, sich durch unterschwellige Vorwürfe unter Druck setzen zu lassen. Niemand will der intolerante spiessige Vorgesetzte sein, der kleinkariert nach Regelverstössen sucht und auf „Chef“ macht. Aber wieviel Toleranz ist gut und wieviel Konsequenz muss sein?

Räumen wir zunächst mit einem Missverständnis auf: Toleranz und Konsequenz sind zwei vollkommen unabhängige Begriffe. Wenn jemand als Führungskraft nicht konsequent handelt, muss er nicht unbedingt tolerant sein. Und wenn jemand intolerant ist, muss er nicht automatisch auch konsequent sein.

Genauso gilt: Nur weil jemand konsequent handelt, muss er nicht intolerant sein. und nur weil jemand tolerant ist, muss er nicht jedes Verhalten automatisch akzeptieren.
Daher ist es wichtig zu verstehen: Wenn ich für etwas „Verständnis habe“, so ist das nicht gleichzusetzen mit „Ich akzeptiere Dein Verhalten.“, auch wenn das im Alltag häufig gleichgesetzt wird.

Ich kann zum Beispiel als Richter dafür Verständnis haben, dass jemand aus großer Verzweiflung ein Gewaltdelikt begeht. Das ist sogar für eine angemessene Urteilsfindung eine Voraussetzung. Es bedeutet allerdings nicht, dass ich es aufgrund meines Verständnisses für akzeptabel hielte, Gewaltdelikte zu begehen. Die Tat selbst bleibt inakzeptabel, auch wenn ich verstehe, wie es zu ihr kommen konnte.

Was können wir also Frau Z. raten?

Wenn sie auf die Einhaltung bestimmter Grundregeln in der Zusammenarbeit besteht, hat das nichts mit ihrem Toleranz-Niveau als Führungskraft zu tun. Ihr Verständnis für die besondere Situation von Herrn X. darf nicht dazu führen, dass er besondere Vorzüge geniessen kann, die für den Rest des Teams nicht gelten.

Frau Z. sollte ansprechen, dass sie die besonderen Herausforderungen versteht, die Herr X. als alleinerziehender Vater bewältigen muss. Sie muss aber erklären, wo ihre Grenzen des Verständnisses – und die des Teams – liegen und wann diese überschritten sind. Herr X. muss verstehen, dass jede Überschreitung dieser Toleranzgrenzen eine Intervention nach sich zieht.

Mein Führungs-Tipp

Immer wenn Mitarbeiter durch ihr Verhalten immer wieder eine klar kommunizierte Toleranzgrenze überschreiten, müssen wir als Führungskräfte reagieren. Dabei spielt die „Schwere des Verstosses“ nur eine untergeordnete Rolle. Um ein Bild zu bemühen: Auch wenn ich regelmässig „nur“ 40 km/h in der 30er-Zone gefahren bin, hat das Konsequenzen.

Das Argument, „das sei doch zu viel unnötiger Stress“, ist eine Ausrede und entweder ein Zeichen von Faulheit oder Ausdruck der eigenen Angst vor Konfliktgesprächen. Wem es zu anstrengend ist, geltende Regeln durchzusetzen, sollte Moderator werden. Als Führungskraft erfüllt er so seinen Job nicht.

Der Vorwurf der Intoleranz ist ein Versuch, uns zu manipulieren. In vielen Fällen werden die Grenzen bewusst überschritten, weil ausgetestet werden soll, wie weit man gehen kann, bevor es Konsequenzen gibt. Und in diesem Fällen geht es nicht mehr um das Thema an sich, z.B. Pünktlichkeit, sondern um die Wahrung der eigenen Autorität und den Schutz vor zukünftigen Manipulationen.

Wir sollten daher in uns hineinhören: wie weit geht unser Mitgefühl und ab wann entwickeln wir ein „komisches Bauchgefühl“, dass wir gerade manipuliert werden? Dieses komische Gefühl ist ein klarer Hinweis darauf, dass unsere Toleranzgrenze gerade getestet wird. Und das ist nicht akzeptabel.

Wenn wir Verständnis zeigen, aber gleichzeitig konsequent nach geltenden Regeln handeln, bleiben wir in den Augen der Mitarbeiter menschlich, verlässlich und konsequent.

„Da bin ich jetzt aber enttäuscht!“

Ent-Täuschung und der vermeintliche Anspruch auf Erfüllung

Kürzlich traf ich einen Freund, den ich Corona-bedingt längere Zeit nicht gesehen hatte. Wir tauschten Neuigkeiten aus und kamen auch auf seine berufliche Situation zu sprechen. Er teilte mir mit, dass er vorhabe, die Firma zu verlassen, in der er seit mehr als 10 Jahren beschäftigt gewesen war. „Mein Chef hat mich jetzt schon so häufig enttäuscht, dass ich mir lieber was Neues suche!“, so seine Begründung für den Wechsel.


Auf meine Nachfrage hin erzählte er mir, dass er sich in den vergangenen Monaten sehr für ein bestimmtes Projekt engagiert hatte. Eine neue Plattform-Lösung sollte eingeführt werden und ein neu aufzustellendes Team danach die Plattform betreiben und weiterentwickeln. Für meinen Freund ein Thema, das genau in sein Kompetenzprofil passte und eine Chance zur Weiterentwicklung.


Ich hakte nach, warum er – trotz erfolgreicher Implementierung – ausgerechnet jetzt das Unternehmen verlassen wollte. Seine Begründung: „Obwohl es immer klar war, dass ich die Teamleitung übernehme, hat mein Chef mich im Regen stehen lassen und einen Externen auf die Stelle gesetzt. Ich bin so enttäuscht von ihm! Und die Zusammenarbeit ist unter diesen Umständen natürlich sehr schwierig geworden.“


In seiner Erzählung fiel mir auf, dass während des Einführungsprojektes scheinbar nie über die zukünftigen Rollen gesprochen worden war. „Da hatten wir ja alle Hände voll mit der Technik zu tun. Da war für sowas keine Zeit. Aber es war ja eh alles klar.“ War es das wirklich?
30 Minuten später hatte ich verstanden: Es hatte nie konkrete Verabredungen zur Rollenverteilung im zukünftigen Team gegeben. Mein Freund hatte sein Interesse an der Teamleiter-Stelle zwar mehrfach „durch die Blume“ geäussert, eine eindeutige Zusage war von seinem Chef aber nie geäussert worden. Und dass er sich auch bei der HR-Abteilung nicht auf die interne Stellenausschreibung gemeldet hatte – „Das war doch nur eine Formsache.“ – hatte ebenfalls nicht geholfen.

Enttäuschung ist das Ende einer Täuschung

Leider unterliegen wir Menschen – so auch mein Freund – ständig irgendwelchen Täuschungen. Wir stellen immer wieder fest, dass die Wirklichkeit ganz anders funktioniert, als wir erwartet hätten. Unser Gegenüber verhält sich anders als gedacht, die Lieferung kommt später als erwartet, die Rechnung wird später gezahlt als vereinbart. Jedes Mal, wenn das passiert, haben uns unsere Erwartungen getäuscht. Wir haben uns einer Täuschung hingegeben und lernen nun, vielleicht schmerzlich, wo wir uns etwas „vorgestellt“ haben.

Insbesondere wenn wir mit anderen Menschen etwas vereinbaren, z.B. eine bestimmte Leistung, erwarten wir nicht nur die Erfüllung der Vereinbarung, sondern mehr. Auch wenn es nicht ausdrücklich angesprochen wurde, gehen wir selbstverständlich davon aus, dass der Handwerker weiß was er tut und nach den „Regeln der Kunst“ arbeitet. Wir erwarten auch, dass unser Gegenüber die gleiche Vorstellung davon hat, wie etwas im Ergebnis aussehen soll. Und wir wollen auch, dass die Abrechnung korrekt, der Inhalt einer Nachricht zutreffend und der Vertragspartner ehrlich mit uns ist.

Alle diese Erwartungen stehen unausgesprochen im Raum. Tut jemand dann etwas anderes als erwartet, sind wir bereit, dass Versehen zu entschuldigen, wenn wir vorher gute Erfahrungen gemacht haben. Waren wir aber bereits vorher kritisch eingestellt, ist das gleiche Versehen unverzeihlich und wird als Begründung für unsere Verletztheit herangezogen. „Ich habe ja gleich gesagt: Auf den kann man sich nicht verlassen!“

Dramatisieren hilft nicht!

Nachdem das Kind in den Brunnen gefallen ist, hilft es wenig, der Ent-Täuschung zuviel Raum zu geben. Jede Dramatisierung erfüllt nämlich eigentlich nur den Zweck, dass wir uns von unserer eigenen Verantwortung entlasten können. Und das ist der einzige Zweck.

Wären wir ehrlich mit uns selbst, müssten wir anerkennen, dass wir ebenfalls nicht dazu beigetragen haben, für Klarheit zu sorgen. Dahin ging auch der Rat an den Freund: „Bevor Du kündigst, solltest Du bei Deinem Chef klar ansprechen, was genau Dich in seinem Verhalten enttäuscht hat und wo er Deiner Ansicht nach eine Vereinbarung nicht eingehalten hat. Ihr könnt nur gemeinsam herausfinden, ob das absichtlich geschehen ist und wo die Erwartungen des jeweils Anderen nicht erfüllt worden sind.“

Mein Führungs-Tip:

Als Führungskraft muss ich mir darüber klar werden, wie ich mit Ent-Täuschungen umgehe. Wenn ich nicht will, dass eine Situation wegen enttäuschter Erwartungen eskaliert, muss ich selbst für eine Ent-Dramatisierung sorgen.

Habe ich ausreichend klar gemacht, was ich erwarte? Weiß ich zweifelsfrei, was mein Gegenüber von mir erwartet? Gab es Lücken in der Kommunikation, die für eine Ent-Täuschung gesorgt haben, z.B. eine unbekannte Absprache mit jemand anderem, ein Dokument, das nicht bekannt war, etc.?

Und was genau hat eigentlich die Ent-Täuschung ausgemacht? War es das Gefühl, nicht wahrgenommen zu werden? Gab es ein Missverständnis? Oder wurde (von Ihnen oder Ihrem Gegenüber) zu viel hinein interpretiert? Hatte Ihr Gesprächspartner das Gefühl, bewusst getäuscht worden zu sein? Und warum ist diese Sichtweise entstanden? Wie haben Sie zu diesem Gefühl – unbewusst – beigetragen?

Je klarer ich weiß, wie ich mit Enttäuschungen umgehe und je besser es mir gelingt, die Fakten und Abläufe von der emotionalen Seite zu trennen, umso leichter kann ich bewirken, dass nichts unnötig dramatisiert wird. Entdramatiserung kann nur der erreichen, der selbst nicht dramatisiert. Denn es gilt immer noch: „It´s not a personal thing!“

Mal wieder nichts gesagt! – Wie unethisches Führungsverhalten durchkommt.

Bei den jüngsten Wirtschafts-Skandalen, z.B. in der Banken- oder Auto-Industrie, war wieder von kriminellem Handeln, Täuschung und Betrug die Rede. Schnell hat man auch die Schuldigen identifiziert: Die Führungskräfte sind es gewesen. Sie seien es, die durch ihr Führungsverhalten versäumt hätten, gültige ethische Standards durchzusetzen und damit das verbrecherische Handeln quasi erst ermöglicht haben. Selbst wenn diese Schuldzuweisungen griffig sind und wir uns längst an die Vorstellung gewöhnt haben, dass es Führungskräfte gibt, die um des Erfolges willen ihren moralischen Kompass beiseite gelegt haben: Beim Thema des unethischen Handelns in Unternehmen geht es um mehr als das Versagen einzelner Manager.

Denn bei genauerer Betrachtung zeigt sich schnell, dass Betrug, Vorteilsnahme, Tricksereien und andere unlautere Praktiken nur möglich sind, wenn sie auch von den internen Teams zugelassen oder sogar aktiv unterstützt werden.

Um ein vollständiges Bild des Entstehens solcher strafbaren Handlungen zu zeichnen, muss deshalb auch die Rolle der Mitarbeiter betrachtet werden. Die kritische Analyse des Handelns aller Beteiligten kann dann helfen, die Bedingungen für unethische Vorhaben zu erschweren oder zu verhindern.

Implizite Theorien schaffen explizite Erwartungen

In vielen Studien wurde bestätigt, dass die grundsätzliche Erwartung an ein gewisses Sozialverhalten von der Position und Rolle der handelnden Person beeinflusst wird. Von einem Manager in herausgehobener Position wird von seinem Umfeld ein anderes Verhalten erwartet als vom Mitarbeiter aus dem Lagerbereich. Wir scheinen also eine Reihe von stillschweigenden Annahmen zu treffen, wie sich jemand in der einen oder anderen Position benehmen sollte.

Die Mitarbeiterin aus der Buchhaltung bringt daher dem Geschäftsführer mehr Verständnis entgegen, wenn er sich nicht an ihren Namen erinnern kann, als dem Kollegen aus der Nachbar-Abteilung. Dem Geschäftsführer hält sie zugute, dass er „ja den Kopf sicher sehr voll hat…“ Dem Kollegen wird dagegen unterstellt: „der glaubt wohl, er sei was Besseres..:“.

Die Situation ist zwar die Gleiche, das Urteil der Mitarbeiterin fällt aber unterschiedlich streng aus.

Wissenschaftlich ist bestätigt, dass viele Unternehmen ein unausgesprochenes (implizites) gemeinsames Verständnis darüber haben, wie sich Führungskräfte und Mitarbeiter benehmen sollten. Im positiven Sinne hilft dieses gemeinsame Verständnis, die eigene Rolle mit den Kolleginnen und Kollegen besser abzustimmen und das eigene Verhalten an diesen Erwartungen auszurichten. Der wohlmeinende Hinweis an den neuen Kollegen: „Das machen wir hier so…“, hilft diesem also, sich in seine neue Position schneller einzugewöhnen.

Gutes Benehmen kann unethisches Verhalten fördern.

Wenn wir an die vielen großen und kleinen Wirtschaftsskandale der letzten Jahre denken, stellt sich immer wieder die gleichen Fragen: Wie konnte das so lange unbemerkt bleiben? Hat das denn niemand bemerkt? Die Antwort: Viele haben es geahnt, einige haben davon gewusst, alle haben geschwiegen.

Mehrere Studien haben untersucht, welche Umstände dazu beitragen, dass Mitarbeiter unethisches Verhalten ihrer Vorgesetzten decken: Einen förderlichen Einfluss haben danach Situationen, die für die Mitarbeiter unklar sind und teilweise widersprüchliche Anforderungen stellen. So zum Beispiel dann, wenn die Organisationsinteressen mit den Eigeninteressen der Mitarbeiter kollidieren und die Führungskraft in ihrem unkorrekten Verhalten darauf beruft, dadurch für die Firma einen Vorteil zu erreichen.

So würde ein bestechlicher Einkäufer vielleicht argumentieren: „Da muss man mal fünfe gerade sein lassen kann, wenn es um die Auftragsvergabe geht. Die guten Beziehungen bringen uns am Ende mehr Rabatt als die ganze Ausschreibung.“

Die Ergebnisse zeigen, dass Mitarbeiter, denen vorher unkorrektes Verhalten fern gelegen hat, sogar bereit sind, zum Mit-Täter zu werden, wenn die Begründung ausreichend plausibel und die Situation unübersichtlich ist. Sie sind dann häufig sogar davon überzeugt, das Richtige für ihr Unternehmen zu tun.

Wenn wir über unethisches Verhalten von Mitarbeitern und Führungskräften sprechen, meinen wir im Allgemeinen Verstöße gegen ethische Grundsätze und die Compliance-Regeln des Unternehmens. Neben diesen Vorgängen geht es aber darum, vorsätzlich Strukturen, Situationen und Prozesse zu schaffen, das unethische Handeln fördern oder erst ermöglichen.

Hier nutzt der Manager seine Rolle als Vorgesetzter aus. Die eigenen Mitarbeiter fühlen sich damit nicht persönlich verantwortlich. „Der Chef hat es angeordnet.“ Und diese Haltung kommt häufiger vor, als angenommen. Denken wir beispielsweise an unethisches Verhalten im zwischenmenschlichen Bereich: Eine Führungskraft, die einzelne Mitarbeiter herabwürdigt, anschreit oder mobbt, kann dies nur dann tun, wenn ihr durch die anderen Mitarbeiter im Team kein Widerstand entgegengebracht wird. Die Duldung und das Stillschweigen der Kolleginnen und Kollegen wird von ihr ggf. sogar als Zustimmung gewertet.

Viele Mitarbeiter verhalten sich in solchen unangenehmen Situationen wie „Schaulustige“: Sie nehmen das Verhalten ihres Vorgesetzten zur Kenntnis, wollen sich aber nicht hineinziehen lassen. Andere Mitarbeiter glauben, wegen ihrer Rolle die Handlungen ihres Vorgesetzten grundsätzlich nicht in Frage stellen zu dürfen.

Beiden Verhaltenstypen ist gemeinsam, dass sie bereit sind, die (angeblichen oder tatsächlichen) Prioritäten der Organisation höher einstufen als die persönlichen ethischen Standards.

Sie lassen daher ihre Vorgesetzten gewähren, wenn sie annehmen, dass das versprochene positive Ergebnis aus ihrer Sicht die Nachteile am Ende deutlich überwiegen wird. „Wo gehobelt wird, da fallen Späne.“

Trotz dieser naheliegenden Erkenntnisse fehlte es allerdings bisher an einem integrierten Erklärungsansatz für dieses Verhalten. Diese Lücke schließt eine neue Studie der Universitäten Halle und Chemnitz.

Studie der Universitäten Halle und Chemnitz bringt Licht ins Dunkel!

Die Studie untersuchte die Wirkungen, die die Unternehmenskultur in Form von impliziten Gepflogenheiten auf die Bereitschaft der Mitarbeiter ausübt, unethische Handlungen von Vorgesetzten zu tolerieren oder sich selbst an ihnen zu beteiligen. Sie bestand aus zwei Teilstudien.

Studie Nr. 1 umfasste 187 Testpersonen, die an einer so genannten Postkorb-Übung teilnahmen. Ihre zugewiesene Rolle war die einer Führungskraft auf mittlerer Management-Ebene einer Fast-Food-Firma. Vor dem Hintergrund weiterer Informationen über die Firmenstruktur und ihre Zuständigkeiten wurden sie im ersten Übungsabschnitt gebeten, mehrere Aufgaben gleichzeitig zu erfüllen, z.B. Gehaltsentscheidungen zu treffen, Trainingsprogramme zu organisieren und Urlaubsanträge zu prüfen.

Im zweiten Übungsabschnitt forderte der Geschäftsführer die Teilnehmer auf, Bewerbungen von acht Kandidaten zu bewerten, die sich für die Leitung des HR-Teams beworben hatten. Von den acht Kandidaten sollten drei für ein Vorstellungsgespräch ausgewählt werden. Vier Bewerber waren aus der Region. Vier andere waren ursprünglich als Flüchtlinge nach Deutschland gekommen, wie den Bewerbungen zu entnehmen war. Für die Auswahl sollten zwei Bewerbungskriterien verwendet werden:

  1. Die Kandidaten sollten Erfahrungen in der Lebensmittel-Branche oder Fast-Food-Industrie haben und
  2. Sie sollten Erfahrungen im Verkauf mitbringen.

Sowohl zwei deutsche Bewerber wie zwei Bewerber mit Migrationshintergrund erfüllten diese Kriterien. Alle anderen Kandidaten kamen für ein Bewerbungsgespräch nicht in Frage.

Die Testpersonen wurden nun zufällig in zwei Gruppen aufgeteilt:

  1. In der Kontrollgruppe wurden sie aufgefordert, die besten Kandidaten für die Tätigkeit auszuwählen.
  2. In der anderen Gruppe machte der Geschäftsführer gegenüber den Testpersonen eine Bemerkung, die darauf abzielte, keine Migranten als Führungskräfte in der Firma zu beschäftigen. Das Statement lautete: „Beim Lesen der Bewerbungen habe ich bemerkt, dass es unter den Bewerbern auch einige Ausländer gibt. Bei der Personalauswahl sollten Sie im Hinterkopf behalten, dass die Mitarbeiter in der Firmenzentrale fast ausschließlich aus Deutschen bestehen. In der Vergangenheit hat die Homogenität unseres HR-Teams einen wesentlichen Beitrag zu unserem guten Teamwork und unserem Erfolg geleistet. Deshalb ist es sehr wichtig, dass die neue Führungskraft für unser HR-Team ein Garant für die gute Chemie untereinander ist.“

Unschwer ist der diskriminierende Charakter des Statements zu erkennen. Befolgen die Testpersonen die Anweisung, verstoßen sie gegen ethische Prinzipien und unterstützen so das diskriminierende Verhalten. Sie stehen also in einer komplexen Entscheidungssituation. Anhand verschiedener Standard-Messverfahren wurde nun untersucht, wie sich die Testpersonen verhielten.

Eine zweite Studie mit ähnlichem Aufbau unterschied sich in zwei Bedingungen: In der einen Variante wurde die Aufforderung zur Diskriminierung ausländischer Bewerber ohne jede weitere Erklärung oder Rechtfertigung gegenüber den Teilnehmern geäußert. In der anderen Variante wurde sie damit begründet, es bringe für das Unternehmen insgesamt enorme Vorteile, wenn keine Ausländer beschäftigt würden.

Wie reagierten die Studien-Teilnehmer?

Die Beobachtungen ergaben, dass eine gute Begründung die Bereitschaft der Testpersonen deutlich erhöhte, der Aufforderung des Geschäftsführers zu folgen. Mehrere Faktoren trugen dazu bei:

  • Testpersonen, die an sich selbst den Anspruch hatten, „ordentliche Bürger“ zu sein, waren eher bereit als andere, die eigene Verantwortung an den Geschäftsführer abzugeben. Sie neigten messbar auch dazu, einem Vorgesetzten eine gewisse Überlegenheit zuzuschreiben.
  • Testpersonen mit einer ausgeprägten Neigung zu sozialer Konformität gaben auch an, gerne „vorgegebene Regeln zu befolgen“. Sie waren deutlich bereiter, auch unethische Anweisungen zu befolgen.

Sie zeigten dabei auch eine deutliche Tendenz dazu, die eigenen Handlungen so zu begründen, dass diese (zumindest in der eigenen Wahrnehmung) als weniger unethisch angesehen werden konnten.

  • Auch Testpersonen, die nur schwer mit Ungewissheit umgehen konnten und eine Neigung zu rigidem „Schwarz-Weiss-Denken“ zeigten, waren deutlich bereiter, die Anweisung des Geschäftsführers umzusetzen.

Zusammengefasst:

Die Studien zeigen, dass bestimmte Umstände die Bereitschaft von Mitarbeitern erhöhen, unethisches Verhalten von Vorgesetzten hinzunehmen oder aktiv zu unterstützen. Mehrdeutige oder unklare berufliche Situationen fördern dieses Verhalten. Für das eigene Führungsverhalten ist daher wichtig: Sobald Situationen aus Sicht der Mitarbeiter ungeklärt, widersprüchlich oder verwirrend sind, steigt die Gefahr, auch unethisches Handeln zu dulden. Befindet sich also Ihr Unternehmen oder Ihr Bereich in einer Phase größerer Veränderungen, ist die Schaffung von Transparenz und Klarheit in der Kommunikation von größter Bedeutung. Sie können dadurch nicht nur verhindern, dass Ihre Mitarbeiter in Loyalitätskonflikte geraten, sondern auch dazu beitragen, dass die grundlegenden Pfeiler Ihrer Unternehmenskultur nicht in Frage gestellt werden oder in Vergessenheit geraten.

Die Förderung der internen Aufmerksamkeit ist für Sie die beste Versicherung gegen den nächsten Skandal in der Presse.

Referenz zum Nachlesen: Knoll, M., Schyns, B. u. Petersen, L. E. (2017): How the influence of unethical Leaders on Followers is affected by their implicit followership theories.  Oxford Review, Journal of Leadership & Organisational Studies Nr. 1548051817705296.

Facebook und die Teekessel-Logik

Ein Blick auf meine Timeline bei Facebook genügt, um feststellen zu können, wie schnell Diskussionen in Schuldzuweisungen und Auseinandersetzungen abgleiten. Eigentlich freundliche Mitmenschen äussern sich in einer Art, für die sie sich im persönlichen Gespräch schämen würden. Anstand und logische Argumente scheinen aus der Mode geraten zu sein. Meinung ist wichtiger als Ahnung.

Besonders häufig zu beobachten ist dabei die „Teekessel-Logik“, an die ich eben durch Seth Godin erinnert worden bin. Die Bezeichnung entstammt einem Beispiel, das Siegmund Freud verwendete, um das Konzept zu erläutern:

Ein Mann wird von seinem Nachbarn beschuldigt, seinen geliehenen Teekessel mit einer Beschädigung zurückgegeben zu haben. Er argumentiert dagegen: „Erstens habe ich Deinen Teekessel gar nicht ausgeliehen. Zweitens war er sowieso schon beschädigt, als ich ihn bekommen habe und drittens habe ich ihn Dir vollkommen unbeschädigt wiedergegeben.“

Natürlich ist diese Argumentationskette nicht geeignet, um eine auf Logik basierende Auseinandersetzung zu gewinnen. Aber auch wenn offensichtlich mindestens eines der Argumente nicht wahr sein kann, wird diese Argumentationsweise gerne von gegnerischen Anwälten verwendet, um Verwirrung zu stiften. Manchmal sogar mit Erfolg.

Die Teekessel-Logik liefert aber einen guten Hinweis darauf, wie unser Gehirn mit Emotionen umgeht. Und da wir in 95% aller Fälle zunächst emotional reagieren, sprudeln die Worte aus uns heraus. Auch wenn sie nichts aussagen oder sogar ausgesprochen dumm sind. In einem Medium wie Facebook ist damit schnell mal ein Posting geteilt, das wir uns mit ein wenig Zeitverzögerung sicher anders überlegt hätten. Hier ist Schnelligkeit eben manchmal eher nachteilig.

Wenn also bei Facebook oder anderen Gelegenheiten unser Gesprächspartner in die Teekessel-Logik verfällt, dann haben wir offensichtlich eine starke Emotion dieser Person getroffen. Dann wäre es viel zielführender, nicht über die mangelnde Logik der Argumentation zu streiten, sondern über die Emotionen, die dahinter stecken und was sie ausgelöst hat.