Denkblockaden – Konflikte und unsere Angst vor Ablehnung

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Es gibt Begriffe, die gerade bei jüngeren Führungskräften instinktiv Abwehr erzeugen, Themen, die fast als Tabu aufgefasst werden. In der Reihe „Denkblockaden“ spüren wir diese Begriffe auf und setzen sie in einen hilfreichen Zusammenhang.

In einem Beitrag im Mai bin ich bereits auf das Thema „Konflikte“ eingegangen, dort ging es um die Angst vor der Konfrontation. In diesem 2. Teil will ich auf die Angst vor Ablehnung eingehen, die vielen Führungskräften Sorgen macht.

Eine Situation wie die folgende habe ich in den vergangenen 25 Jahren sehr häufig erlebt: Der neue Teamleiter X erläutert dem sehr erfahrenen Mitarbeiter Y, dass er für ein bestimmtes Problem eine andere Herangehensweise wünscht, als es bisher üblich gewesen ist. Mitarbeiter Y unterbricht ihn und weist darauf hin, dass dieses Vorgehen nicht funktionieren wird. Teamleiter X wird unsicher und fordert umso vehementer, dass die neue Methode angewendet werden soll. Y argumentiert dagegen, Teamleiter X fühlt sich provoziert, die Situation endet im Streit. Klingt das bekannt?

Wenn es zu einem Konflikt kommt, entsteht bei den Beteiligten häufig der Eindruck, der Gesprächspartner auf der anderen Seite des Tisches habe ein vollkommen anderes Weltbild als man selbst. Anscheinend sind die gegensätzlichen Standpunkte miteinander unvereinbar. Was ja – wie im Beispiel – kein Wunder sei, weil einerseits „der junge Schnösel noch grün hinter den Ohren ist und keine Ahnung hat“, während andererseits „der alte Sack sowieso nichts verändern will, weil er nur die Rente im Blick hat und mich als Manager gar nicht akzeptiert“. Klingt ganz schön verfahren, finde ich!

Aber woran liegt es, dass sich so häufig diese „unüberbrückbaren Hindernisse“ auftun? Aus meiner Erfahrung handelt es sich dabei häufig um „Schein-Konflikte“. Sie werden umso größer und ernster, je länger man sie unbearbeitet lässt und ihnen aus dem Wege geht. Denn ihr Entstehen beruht darauf, dass beide Konfliktparteien gar nicht darüber nachdenken, ob die Möglichkeit existiert, trotz aller Unterschiede zu einem gemeinsamen Ergebnis, einer „Fusion beider Standpunkte“, zu kommen.

Unser Ziel sollte es doch sein, unsere Lebensenergie für kreative Ideen einzusetzen, statt uns auf Kämpfe und Überwindung des Gegners zu konzentrieren. Warum fällt uns das so schwer?

Wer sich stark macht hat verloren!

Wenn innerlich der Puls hochjagt, weil mir jemand über den Weg läuft, mit dem ich noch einen Konflikt offen habe, fällt es mir sehr schwer, gelassen zu bleiben. Da ist dieses nagende Gefühl: „Mit Dir habe ich noch eine Rechnung offen.“ oder „Was hat sich die Kollegin jetzt wieder ausgedacht, um mich auf die Palme zu bringen?“.

Je häufiger ich mit jemandem aneinander gerate, umso schwerer fällt es mir, dieser Person unvoreingenommen zu begegnen. Ich kann dann nur schwer neutral sein, jedenfalls solange ich mir nicht Klarheit über meine eigenen Emotionen und mein bisheriges Verhalten verschafft habe. Denn genau da beginnt die Veränderung: Bei meinen eigenen Emotionen und meinem eigenen Verhalten.

Wer mich in meinen Workshops oder Coachings persönlich erlebt, wird früher oder später einen meiner Lieblingssätze hören: „Du kannst für jemand anderes nichts wollen!“

Mein Gegenüber verhält sich auf eine bestimmte Art und Weise. Und das löst bei mir eine bestimmte Reaktion aus. Tut mein Gegenüber das absichtlich? Keine Ahnung. Aber wenn es häufiger vorkommt, NEHME ICH AN, dass dahinter Absicht stecken MUSS.

Und was ist wenn nicht?

Wenn ich – im täglichen Leben und besonders in Konfliktsituationen – meine eigene Gelassenheit bewahren will, muss ich dafür sorgen, dass ich meinen Emtionen nicht zuviel Raum gebe. Wenn sie die Herrschaft übernehmen KANN ICH NICHT NEUTRAL BLEIBEN.

Und wenn ich nicht neutral bleiben kann, werde ich selbst zum Teil des Konfliktgeschehens. Ich wechsle also vom Beobachter des Konflikts auf der Sachebene zum BETEILIGTEN in der Auseinandersetzung. und damit habe ich meine Autorität als Beeinflusser oder Moderator des Konflikts verloren.

Genau das ist übrigens ein Trick von Menschen, die sich mit Konflikten profilieren wollen, insbesondere ein übliches Vorgehen bei Journalisten und Politikern: Man versucht das Gegenüber in einen Konflikt zu drängen, zum Beispiel durch Fragen, die eine unterschwellige Unterstellung enthalten. Wenn das Gegenüber darauf mit einer Verteidigungsrede reagiert – „Aber ich habe doch nie gesagt, dass…“ – werden gezielt weitere Provokationen eingesetzt, damit der Konflikt sich verschärft. „Sie wollen also ernsthaft behaupten, dass…“

Fallen die Provokationen auf fruchtbaren Boden, hat der Gesprächspartner sich in eine Position drängen lassen, in der er aus der neutralen Rolle zur Parteinahme für eine bestimmte Position gedrängt wurde. Und aus dieser Rolle kommt man ohne Image-Schaden nicht mehr heraus.

Deshalb gilt: Wer Konflikte lösen will, darf sich für keine Partei stark machen und muss die eigenen Emotionen unter Kontrolle haben!

Das ist keine persönliche Sache!

Egal ob es sich um einen eigenen Konflikt mit jemandem im Team oder um einen Konflikt zwischen anderen Beteiligten handelt: Jeder hat schon einmal die Erfahrung gemacht, dass man sich ganz schnell die Finger verbrennen kann, wenn man sich einbringt. Gerade in Konflikten zwischen Team-Mitgliedern ist es als Führungskraft leicht, sich zwischen alle Stühle zu setzen. Mitarbeiter A versucht  – ebenso wie Mitarbeiter B – die Vorgesetzte auf seine Seite zu ziehen: „Sie denken doch auch, dass…“, „Sie haben ja selbst immer gesagt, dass…“ usw.

Deshalb müssen wir uns immer wieder als Mantra aufsagen: „Das ist keine persönliche Sache! Es hat nichts mit mir als Mensch zu tun! Es hat auch nichts mit meinem Gegenüber als Mensch zu tun! Es geht nur um unterschiedliche Auffassungen oder um eine unterschiedliche Beurteilung der Situation!“

Mit dieser Grundhaltung erkennen wir an, dass sowohl unser Kontrahent wie wir selbst ein großes Interesse daran hat, ein Problem zu lösen und etwas Gutes zu bewirken.

Indem wir auf diese Weise eine neutrale Position einnehmen können, ist der Umgang mit Provokationen wesentlich einfacher. Wir können uns sagen: „Diese Person beschimpft nicht mich als Person, sondern die Rolle, die ich wahrnehme. Ihre negativen Gefühle haben nichts mit mir zu tun. Ich bin nur die Projektionsfläche für eigene Unzufriedenheit oder Sorge.“

Weglaufen gilt nicht!

Leider haben wir als Führungskräfte nicht die Möglichkeit, den Konflikten auszuweichen, die immer wieder auf uns zukommen. Auch wenn wir es viel lieber hätten: Konflikte werden durch unsere Zurückhaltung eher verstärkt als gelöst. Es ist unsere originäre Aufgabe, sie aufzunehmen, zu verstehen, aufzulösen und in etwas Nützliches zu transformieren.

Insbesondere in Situationen größerer Veränderungen im Unternehmen entstehen vielfältige Konflikte:

  • Alte Rollen werden überflüssig und neue Rollen werden geschaffen.
  • Prozesse verändern sich und Ansprechpartner wechseln.
  • Neue Zuständigkeiten sorgen dafür, dass neue Absprachen getroffen werden müssen.
  • Das, was bisher „auf dem kleinen Dienstweg“ gelöst werden konnte, wird plötzlich schwieriger.
  • Das Netzwerk aus persönlichen Beziehungen und das Geflecht aus gegenseitigen Abhängigkeiten verliert plötzlich an Bedeutung.
  • Neue Vorgesetzte haben andere Erwartungen und Vorstellungen an Kommunikation, Abstimmung und Arbeitsergebnisse.

Jeder Konfliktherd im Rahmen dieser Change-Prozesse will bearbeitet und im Idealfall aufgelöst werden. Verantwortlich dafür sind nicht nur die Change-Verantwortlichen im Projekt, die diese Konflikte aufspüren und adressieren müssen, sondern auch und gerade die Führungskräfte in der Organisation. Sie können diese Verantwortung nicht delegieren. Aber sie können bestenfalls gemeinsam mit dem Change-Team versuchen, Wege zu entwickeln, wie die Konflikte in etwas Neues transformiert werden, dass die Organisation weiterbringt. Sei es eine kreative Problemlösung, die Neubewertung eines Prozesses oder die Einführung neuer Führungs- und Gesprächsformate: Konflikte können Geschenke sein.