Bei den jüngsten Wirtschafts-Skandalen, z.B. in der Banken- oder Auto-Industrie, war wieder von kriminellem Handeln, Täuschung und Betrug die Rede. Schnell hat man auch die Schuldigen identifiziert: Die Führungskräfte sind es gewesen. Sie seien es, die durch ihr Führungsverhalten versäumt hätten, gültige ethische Standards durchzusetzen und damit das verbrecherische Handeln quasi erst ermöglicht haben. Selbst wenn diese Schuldzuweisungen griffig sind und wir uns längst an die Vorstellung gewöhnt haben, dass es Führungskräfte gibt, die um des Erfolges willen ihren moralischen Kompass beiseite gelegt haben: Beim Thema des unethischen Handelns in Unternehmen geht es um mehr als das Versagen einzelner Manager.
Denn bei genauerer Betrachtung zeigt sich schnell, dass Betrug, Vorteilsnahme, Tricksereien und andere unlautere Praktiken nur möglich sind, wenn sie auch von den internen Teams zugelassen oder sogar aktiv unterstützt werden.
Um ein vollständiges Bild des Entstehens solcher strafbaren Handlungen zu zeichnen, muss deshalb auch die Rolle der Mitarbeiter betrachtet werden. Die kritische Analyse des Handelns aller Beteiligten kann dann helfen, die Bedingungen für unethische Vorhaben zu erschweren oder zu verhindern.
Implizite Theorien schaffen explizite Erwartungen
In vielen Studien wurde bestätigt, dass die grundsätzliche Erwartung an ein gewisses Sozialverhalten von der Position und Rolle der handelnden Person beeinflusst wird. Von einem Manager in herausgehobener Position wird von seinem Umfeld ein anderes Verhalten erwartet als vom Mitarbeiter aus dem Lagerbereich. Wir scheinen also eine Reihe von stillschweigenden Annahmen zu treffen, wie sich jemand in der einen oder anderen Position benehmen sollte.
Die Mitarbeiterin aus der Buchhaltung bringt daher dem Geschäftsführer mehr Verständnis entgegen, wenn er sich nicht an ihren Namen erinnern kann, als dem Kollegen aus der Nachbar-Abteilung. Dem Geschäftsführer hält sie zugute, dass er „ja den Kopf sicher sehr voll hat…“ Dem Kollegen wird dagegen unterstellt: „der glaubt wohl, er sei was Besseres..:“.
Die Situation ist zwar die Gleiche, das Urteil der Mitarbeiterin fällt aber unterschiedlich streng aus.
Wissenschaftlich ist bestätigt, dass viele Unternehmen ein unausgesprochenes (implizites) gemeinsames Verständnis darüber haben, wie sich Führungskräfte und Mitarbeiter benehmen sollten. Im positiven Sinne hilft dieses gemeinsame Verständnis, die eigene Rolle mit den Kolleginnen und Kollegen besser abzustimmen und das eigene Verhalten an diesen Erwartungen auszurichten. Der wohlmeinende Hinweis an den neuen Kollegen: „Das machen wir hier so…“, hilft diesem also, sich in seine neue Position schneller einzugewöhnen.
Gutes Benehmen kann unethisches Verhalten fördern.
Wenn wir an die vielen großen und kleinen Wirtschaftsskandale der letzten Jahre denken, stellt sich immer wieder die gleichen Fragen: Wie konnte das so lange unbemerkt bleiben? Hat das denn niemand bemerkt? Die Antwort: Viele haben es geahnt, einige haben davon gewusst, alle haben geschwiegen.
Mehrere Studien haben untersucht, welche Umstände dazu beitragen, dass Mitarbeiter unethisches Verhalten ihrer Vorgesetzten decken: Einen förderlichen Einfluss haben danach Situationen, die für die Mitarbeiter unklar sind und teilweise widersprüchliche Anforderungen stellen. So zum Beispiel dann, wenn die Organisationsinteressen mit den Eigeninteressen der Mitarbeiter kollidieren und die Führungskraft in ihrem unkorrekten Verhalten darauf beruft, dadurch für die Firma einen Vorteil zu erreichen.
So würde ein bestechlicher Einkäufer vielleicht argumentieren: „Da muss man mal fünfe gerade sein lassen kann, wenn es um die Auftragsvergabe geht. Die guten Beziehungen bringen uns am Ende mehr Rabatt als die ganze Ausschreibung.“
Die Ergebnisse zeigen, dass Mitarbeiter, denen vorher unkorrektes Verhalten fern gelegen hat, sogar bereit sind, zum Mit-Täter zu werden, wenn die Begründung ausreichend plausibel und die Situation unübersichtlich ist. Sie sind dann häufig sogar davon überzeugt, das Richtige für ihr Unternehmen zu tun.
Wenn wir über unethisches Verhalten von Mitarbeitern und Führungskräften sprechen, meinen wir im Allgemeinen Verstöße gegen ethische Grundsätze und die Compliance-Regeln des Unternehmens. Neben diesen Vorgängen geht es aber darum, vorsätzlich Strukturen, Situationen und Prozesse zu schaffen, das unethische Handeln fördern oder erst ermöglichen.
Hier nutzt der Manager seine Rolle als Vorgesetzter aus. Die eigenen Mitarbeiter fühlen sich damit nicht persönlich verantwortlich. „Der Chef hat es angeordnet.“ Und diese Haltung kommt häufiger vor, als angenommen. Denken wir beispielsweise an unethisches Verhalten im zwischenmenschlichen Bereich: Eine Führungskraft, die einzelne Mitarbeiter herabwürdigt, anschreit oder mobbt, kann dies nur dann tun, wenn ihr durch die anderen Mitarbeiter im Team kein Widerstand entgegengebracht wird. Die Duldung und das Stillschweigen der Kolleginnen und Kollegen wird von ihr ggf. sogar als Zustimmung gewertet.
Viele Mitarbeiter verhalten sich in solchen unangenehmen Situationen wie „Schaulustige“: Sie nehmen das Verhalten ihres Vorgesetzten zur Kenntnis, wollen sich aber nicht hineinziehen lassen. Andere Mitarbeiter glauben, wegen ihrer Rolle die Handlungen ihres Vorgesetzten grundsätzlich nicht in Frage stellen zu dürfen.
Beiden Verhaltenstypen ist gemeinsam, dass sie bereit sind, die (angeblichen oder tatsächlichen) Prioritäten der Organisation höher einstufen als die persönlichen ethischen Standards.
Sie lassen daher ihre Vorgesetzten gewähren, wenn sie annehmen, dass das versprochene positive Ergebnis aus ihrer Sicht die Nachteile am Ende deutlich überwiegen wird. „Wo gehobelt wird, da fallen Späne.“
Trotz dieser naheliegenden Erkenntnisse fehlte es allerdings bisher an einem integrierten Erklärungsansatz für dieses Verhalten. Diese Lücke schließt eine neue Studie der Universitäten Halle und Chemnitz.
Studie der Universitäten Halle und Chemnitz bringt Licht ins Dunkel!
Die Studie untersuchte die Wirkungen, die die Unternehmenskultur in Form von impliziten Gepflogenheiten auf die Bereitschaft der Mitarbeiter ausübt, unethische Handlungen von Vorgesetzten zu tolerieren oder sich selbst an ihnen zu beteiligen. Sie bestand aus zwei Teilstudien.
Studie Nr. 1 umfasste 187 Testpersonen, die an einer so genannten Postkorb-Übung teilnahmen. Ihre zugewiesene Rolle war die einer Führungskraft auf mittlerer Management-Ebene einer Fast-Food-Firma. Vor dem Hintergrund weiterer Informationen über die Firmenstruktur und ihre Zuständigkeiten wurden sie im ersten Übungsabschnitt gebeten, mehrere Aufgaben gleichzeitig zu erfüllen, z.B. Gehaltsentscheidungen zu treffen, Trainingsprogramme zu organisieren und Urlaubsanträge zu prüfen.
Im zweiten Übungsabschnitt forderte der Geschäftsführer die Teilnehmer auf, Bewerbungen von acht Kandidaten zu bewerten, die sich für die Leitung des HR-Teams beworben hatten. Von den acht Kandidaten sollten drei für ein Vorstellungsgespräch ausgewählt werden. Vier Bewerber waren aus der Region. Vier andere waren ursprünglich als Flüchtlinge nach Deutschland gekommen, wie den Bewerbungen zu entnehmen war. Für die Auswahl sollten zwei Bewerbungskriterien verwendet werden:
- Die Kandidaten sollten Erfahrungen in der Lebensmittel-Branche oder Fast-Food-Industrie haben und
- Sie sollten Erfahrungen im Verkauf mitbringen.
Sowohl zwei deutsche Bewerber wie zwei Bewerber mit Migrationshintergrund erfüllten diese Kriterien. Alle anderen Kandidaten kamen für ein Bewerbungsgespräch nicht in Frage.
Die Testpersonen wurden nun zufällig in zwei Gruppen aufgeteilt:
- In der Kontrollgruppe wurden sie aufgefordert, die besten Kandidaten für die Tätigkeit auszuwählen.
- In der anderen Gruppe machte der Geschäftsführer gegenüber den Testpersonen eine Bemerkung, die darauf abzielte, keine Migranten als Führungskräfte in der Firma zu beschäftigen. Das Statement lautete: „Beim Lesen der Bewerbungen habe ich bemerkt, dass es unter den Bewerbern auch einige Ausländer gibt. Bei der Personalauswahl sollten Sie im Hinterkopf behalten, dass die Mitarbeiter in der Firmenzentrale fast ausschließlich aus Deutschen bestehen. In der Vergangenheit hat die Homogenität unseres HR-Teams einen wesentlichen Beitrag zu unserem guten Teamwork und unserem Erfolg geleistet. Deshalb ist es sehr wichtig, dass die neue Führungskraft für unser HR-Team ein Garant für die gute Chemie untereinander ist.“
Unschwer ist der diskriminierende Charakter des Statements zu erkennen. Befolgen die Testpersonen die Anweisung, verstoßen sie gegen ethische Prinzipien und unterstützen so das diskriminierende Verhalten. Sie stehen also in einer komplexen Entscheidungssituation. Anhand verschiedener Standard-Messverfahren wurde nun untersucht, wie sich die Testpersonen verhielten.
Eine zweite Studie mit ähnlichem Aufbau unterschied sich in zwei Bedingungen: In der einen Variante wurde die Aufforderung zur Diskriminierung ausländischer Bewerber ohne jede weitere Erklärung oder Rechtfertigung gegenüber den Teilnehmern geäußert. In der anderen Variante wurde sie damit begründet, es bringe für das Unternehmen insgesamt enorme Vorteile, wenn keine Ausländer beschäftigt würden.
Wie reagierten die Studien-Teilnehmer?
Die Beobachtungen ergaben, dass eine gute Begründung die Bereitschaft der Testpersonen deutlich erhöhte, der Aufforderung des Geschäftsführers zu folgen. Mehrere Faktoren trugen dazu bei:
- Testpersonen, die an sich selbst den Anspruch hatten, „ordentliche Bürger“ zu sein, waren eher bereit als andere, die eigene Verantwortung an den Geschäftsführer abzugeben. Sie neigten messbar auch dazu, einem Vorgesetzten eine gewisse Überlegenheit zuzuschreiben.
- Testpersonen mit einer ausgeprägten Neigung zu sozialer Konformität gaben auch an, gerne „vorgegebene Regeln zu befolgen“. Sie waren deutlich bereiter, auch unethische Anweisungen zu befolgen.
Sie zeigten dabei auch eine deutliche Tendenz dazu, die eigenen Handlungen so zu begründen, dass diese (zumindest in der eigenen Wahrnehmung) als weniger unethisch angesehen werden konnten.
- Auch Testpersonen, die nur schwer mit Ungewissheit umgehen konnten und eine Neigung zu rigidem „Schwarz-Weiss-Denken“ zeigten, waren deutlich bereiter, die Anweisung des Geschäftsführers umzusetzen.
Zusammengefasst:
Die Studien zeigen, dass bestimmte Umstände die Bereitschaft von Mitarbeitern erhöhen, unethisches Verhalten von Vorgesetzten hinzunehmen oder aktiv zu unterstützen. Mehrdeutige oder unklare berufliche Situationen fördern dieses Verhalten. Für das eigene Führungsverhalten ist daher wichtig: Sobald Situationen aus Sicht der Mitarbeiter ungeklärt, widersprüchlich oder verwirrend sind, steigt die Gefahr, auch unethisches Handeln zu dulden. Befindet sich also Ihr Unternehmen oder Ihr Bereich in einer Phase größerer Veränderungen, ist die Schaffung von Transparenz und Klarheit in der Kommunikation von größter Bedeutung. Sie können dadurch nicht nur verhindern, dass Ihre Mitarbeiter in Loyalitätskonflikte geraten, sondern auch dazu beitragen, dass die grundlegenden Pfeiler Ihrer Unternehmenskultur nicht in Frage gestellt werden oder in Vergessenheit geraten.
Die Förderung der internen Aufmerksamkeit ist für Sie die beste Versicherung gegen den nächsten Skandal in der Presse.
Referenz zum Nachlesen: Knoll, M., Schyns, B. u. Petersen, L. E. (2017): How the influence of unethical Leaders on Followers is affected by their implicit followership theories. Oxford Review, Journal of Leadership & Organisational Studies Nr. 1548051817705296.