img-alternative-textDraussen scheint die Sonne, aktuell sind es angenehme 23 Grad und ich stecke mal wieder fest. Neben mir auf dem Schreibtisch liegt die lange Liste meiner Aktivitäten, die ich eigentlich in dieser Woche bearbeiten wollte. Dabei gibt es einige administrative Dinge, die für mich eher langweilig sind, aber auch einige sehr spannende Arbeiten, bei denen es um Recherche und Lernen geht. Ich bin heute morgen bereits recht früh aufgestanden und fühle mich ausgeruht und fit.

Mittlerweile ist es später Nachmittag. Die Liste liegt immer noch neben mir. Ich habe sie mehrfach gelesen, anders aufgeteilt, die Reihenfolge einiger Aktivitäten verändert, Dinge auf morgen verschoben, zwei Sachen ganz gestrichen, Mails beantwortet, den Hund beschäftigt, ein paar Telefonate geführt, einen kurzen Blick auf XING geworfen, Facebook einen Besuch abgestattet und schnell mal bei LinkedIn reingeschaut. Meine Sammlung lustiger Fotos ist um vier gewachsen, drei Zitate von Einstein (wem sonst..) haben mich begeistert, Katzenbildern bin ich ausgewichen und Katastrophen-Meldungen habe ich ausgeblendet.

Trotz meines schlechten Gewissens habe ich mir einen Kaffee auf der Terrasse erlaubt und in der neuen Cicero geblättert. Nur eine Sache habe ich nicht gemacht: Ich habe nicht an den Aktivitäten auf meiner Liste gearbeitet.

Jetzt, am frühen Abend, verstehe ich gar nicht, wo die Zeit geblieben ist. Es war doch eben erst 12:30 Uhr, als ich auf diese interessante Firmenwebsite gestossen bin….um 14:00 sass ich doch schon wieder am Schreibtisch und habe….ja, was eigentlich…gemacht?

An jeden, der sich beim Lesen ertappt fühlt: Willkommen im Club.

Warum fällt es uns häufig so schwer, konsequent unsere Aktivitäten-Listen abzuarbeiten, wenn es von aussen keinen Druck, z.B. in Form eines Abgabetermins, gibt? Warum nutzen wir nicht unsere ganze Kreativität, unsere Kraft, unsere Fachkompetenz, um unsere Projekte heute wirksam ein Stück voran zu bringen? Warum arbeiten wir nicht an dieser guten Idee weiter, die uns so fasziniert hat? Stattdessen bearbeiten wir Mails, damit der Posteingang unter Kontrolle bleibt.

Wir wissen ja, dass die Dinge schnell an Fahrt aufnehmen, wenn wir alle Ablenkungen wirksam ausschalten würden, uns nur auf die wichtigen Dinge konzentrieren, statt uns in Kleinigkeiten zu verlieren.

Trotzdem spüren wir einen starken inneren Widerstand, die leise Stimme in meinem Hinterkopf, die uns einflüstert: „Das wird sowieso nie klappen. Schau lieber nochmal in Deine Mails, es könnte ja was Wichtiges sein. Lehn Dich nur nicht zu weit aus dem Fenster, sonst machst Du Dich nur zum Affen und alle lachen über Dich. Übernimm Dich bloss nicht. Und bei dieser Sache solltest Du nochmal ganz gründlich recherchieren, das ist noch etwas wackelig. Stell Dir vor, da stimmt etwas nicht. Das wäre ja furchtbar.“

Unsere Angst vor dem Scheitern ist die Quelle dieses inneren Widerstands. Sie liebt Arbeitsgruppen und hasst Entscheidungen. Sie liebt es, Angst und Unsicherheit zu erzeugen und hat damit so viel Erfolg, weil sie weiß, welche inneren Knöpfe gedrückt werden müssen, um uns zu verunsichern.

Gesteuert wird das Ganze übrigens neurophysiologisch über die Amygdala, also den Teil meines Gehirns, der am ältesten ist und nahe am Hirnstamm liegt. Die Amygdala ist u.a. zuständig für Angst, Aggression, Sex und Überlebenswillen. Sie wird angesprochen, wenn wir Stress haben, z.B. weil wir uns davor fürchten, uns zu blamieren. Wir wollen nicht scheitern! Scheitern wäre furchtbar!

Deshalb gehen wir in Meetings und spielen „Teufels Advokat“, um die guten Ideen anderer zu kritisieren. Wir fürchten das Unbekannte und erfinden Entschuldigungen, machen anstehende Aufgaben unnötig kompliziert. Wir erfinden Umwege und Umständlichkeiten.

Deshalb verwenden wir Formulierungen wie „..habe ich Dir doch gleich gesagt..“ und erinnern uns daran, dass wir doch genau jetzt dringend die Fenster putzen und die Bücherregale sortieren müssen.

Es ist auch unser innerer Widerstand, der uns zu der guten Idee, an der wir gerade arbeiten, eine noch viel bessere Idee eingibt, und zwar ganz kurz bevor wir fertig gewesen wären. Also nochmal von vorne….nur nicht festlegen.

Kleine Unternehmen und Einzelunternehmer bewegen deshalb in ihrem Rahmen viel mehr als Grossunternehmen, weil Grossunternehmen Arbeitsgruppen, Komitees und Projektteams haben, die darauf ausgerichtet sind, den Status Quo zu erhalten, Fehler zu vermeiden und Kathastrophen zu verhindern. Jede Arbeitsgruppe besteht aus Menschen, die – jeder für sich – mit ihren eigenen Widerständen und inneren Stimmen ringen. „Wenn das als Ergebnis rausgeht, dann sieht es mein Chef und ich werde vielleicht gefeuert!“. „Wenn das in der Firma ausgerollt wird, denken die Kollegen vielleicht, dass es meine Idee war und es besteht eine gute Chance, dass sie es nicht mögen.“

Was ist die Folge? Jede Arbeitsgruppe, jedes Projektteam zielt darauf ab, sich auf den kleinsten gemeinsamen Nenner zu einigen, der möglich ist, um nicht die Angst vor dem Scheitern zu wecken, weil man fürchtet, sich zu blamieren. Dann lieber nur das mittelmäßige Ergebnis. Oder das verspätete Ergebnis, um noch schnell ein paar Tests machen zu können und dann „ganz sicher zu sein.“

Wenn wir diesem inneren Widerstand nachgeben, kann er uns über viele Jahre in unserer Arbeit und in unserer Entwicklung sabotieren. Er sorgte dafür, dass wir uns hauptsächlich um durchschnittlich interessante Themen kümmerte, die wir sehr zuverlässig und in durchschnittlicher Qualität bearbeitet haben. Weil es sich viel sicherer anfühlte, als kontrovers an ein Thema heranzugehen und zu versuchen, das Bestmögliche zu erreichen. Wir rechtfertigen das z.B. dadurch, dass wir „uns voll auf unsere Kernkompetenzen konzentriert haben.“ Klingt gut, meint aber: Ich habe nur das getan, was ich immer schon gut konnte. Weiterentwicklung findet anderswo statt.

Und da uns Sicherheit so wichtig ist, widersprechen wir auch den Durchschnittslösungen Anderer nie. Lieber nichts riskieren. Deshalb arbeiten wir für durchschnittliche Manager in durchschnittlichen Unternehmen an durchschnittlichen Projekten, die durchschnittliche Ziele haben.

Gut finden wir, dass wir dafür nie kritisiert werden. Im Gegenteil, niemand würde uns vorwerfen, nur durchschnittliche Arbeit zu leisten und nur durchschnittliche Ergebnisse zu liefern. Stattdessen lobt man unsere Zuverlässigkeit. Mit purer Durchschnittlichkeit kann man eine gute durchschnittliche Karriere in einem durchschnittlichen Unternehmen machen.

Kompliziert wird es erst dann, wenn sich Bedingungen ändern und Durchschnittlichkeit nicht mehr genügt. Wenn neue Ideen gebraucht werden. Wenn wir „um die Ecke denken müssen“, um weiterzukommen. Dann gilt es, sich zu entscheiden: Lassen wir die Angst siegen und tun das, was wir immer schon getan haben? Oder überwinden wir die Angst vor dem Scheitern und fangen an, nach neuen Ideen zu suchen?

Dann wird uns „wieder so ein Tag“ ärgern, weil wir unsere Möglichkeiten nicht genutzt haben. Dann werden wir strenger mit uns selbst und strenger mit anderen. Dann beginnen wir, Fragen zu stellen. Dann wollen wir mehr.

Dann sind wir „anders“. Dann sind wir dort, wo Neues entsteht, wo Gedankenexperimente zu Lösungen reifen und zwanzig Varianten ausprobiert werden, wie es nicht funktioniert. Dann spüren wir Innovation als Gefühl im Bauch. Dann wird die Welt bunter. Dann sehen wir Möglichkeiten statt Hindernisse.

Gegen den Strom hat man mehr Raum!

Bleiben Sie mutig.

4 Gedanken zu “Wieder so ein Tag…

  1. …. passt …

    „Und da uns Sicherheit so wichtig ist, widersprechen wir auch den Durchschnittslösungen Anderer nie. Lieber nichts riskieren. Deshalb arbeiten wir für durchschnittliche Manager in durchschnittlichen Unternehmen an durchschnittlichen Projekten, die durchschnittliche Ziele haben.

    Gut finden wir, dass wir dafür nie kritisiert werden. Im Gegenteil, niemand würde uns vorwerfen, nur durchschnittliche Arbeit zu leisten und nur durchschnittliche Ergebnisse zu liefern. Stattdessen lobt man unsere Zuverlässigkeit. Mit purer Durchschnittlichkeit kann man eine gute durchschnittliche Karriere in einem durchschnittlichen Unternehmen machen.“

  2. Als der „Streitbare“ bezeichnet zu werden, wäre mir in diesem Zusammenhang ein Ehrentitel. Manchmal kann man zwar gegen die Durchschnittlichkeit nicht gewinnen, hat aber gut gekämpft. Das ist heute auch schon eine Menge…und es bleibt die Hoffnung, dass sich irgendwann die Erkenntnis durchsetzen möge.

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